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  Krieg und Frieden

Dozent/in
Prof. Dr. Dietrich Dörner

Angaben
Vorlesung

Zeit und Ort: Mi 12:00 - 14:00, WE5/01.004

Voraussetzungen / Organisatorisches
Beginn 16.4.

Inhalt
Der Roman "Krieg und Frieden" Leo Tolstois, den Somerset Maugham als "zweifellos größten Roman aller Zeiten" bezeichnete, sollte eigentlich nach Tolstois Meinung kein solcher sein. Zumindest die letzte Fassung war von Tolstoi nicht mehr als Roman gedacht. Das Buch sollte eher eine Art von "Psychocollage" sein, die deutlich macht, welche psychischen Kräfte die Politik, das Leben der Völker, Rassen und Klassen und das private Leben gestalten. Das ergab sich mit der Zeit so; zunächst war "Krieg und Frieden" wohl tatsächlich als eine Art von Familiengeschichte gedacht. Tolstoi aber wollte mehr damit erreichen. Er verglich "Krieg und Frieden" mit der Ilias, die eine bestimmte Epoche des alten Griechenlands in der Form der Geschichte des Krieges der Achäer gegen die Trojaner charakterisierte und auch nicht so sehr den Zweck hatte, den Krieg zu schildern, zu beschreiben, was sich abspielte, sondern ein 'Botschaft' (über die Sinnlosigkeit von Kriegen) zu überbringen. (Die ist aber bislang irgendwie noch nicht angekommen!) Tolstois Botschaft ist eine andere. Er wollte zeigen, wie sich politische Ereignisse aus den Interaktionen psychischer "Kräfte" entwickeln. So sind dementsprechend in die Handlung von "Krieg und Frieden" immer wieder lange "philosophische" Passagen eingebaut. Der "Roman" betrifft alle menschlichen psychischen Prozesse, zuvörderst Motivation und Emotion, aber auch Denken, Problemlösen, Handlungsgestaltung, Persönlichkeit. – Ein paar Beispiele für Fragen (und Antworten):
• Warum verläßt ein erwachsener, nicht mehr ganz junger Mann seine hochschwangere Frau, um in den Krieg zu gehen. Seine Frau sieht einer vermutlich schweren Entbindung entgegen (sie stirbt später während der Entbindung!) und bittet ihren Mann, zu bleiben. Der Mann zieht in den Krieg, obwohl er keineswegs dazu verpflichtet ist!
• Wie heilt man Anorexie bei einem sechzehnjährigen Mädchen?
• Wann sollte ein Führer führen und wann eher nicht!
• Wie entwickelt sich Liebe und wie kann sie ganz plötzlich zerbrechen?
• Wie therapiert man völlige Verzweiflung (die sich aus dem berechtigten Gefühl ergibt, in einer ganz wichtigen Angelegenheit gegenüber einem sehr engen Freund völlig versagt zu haben)?
• Warum hilft jemand einem sehr engen Freund nicht in der Not, obwohl der Freund sich nichts hat zuschulden kommen lassen?
• Warum bringt die Umsetzung des Wunsches, Gutes zu tun, unter Umständen mehr Schaden, als wenn man gar nichts tut?
• Welche Unterschiede gibt es zwischen Frauen und Männern und was folgt daraus für den "Feminismus"? (Die Frage ist natürlich "politisch inkorrekt"! Daß es Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, sollte man noch nicht einmal erwägen. Tolstoi ist da anderer Meinung.)
• Haben Duelle eine Funktion? (Vielleicht sogar eine wichtige?)
• Warum schlug Napoleon in Moskau den Ratschlag, für eine bessere Winterausrüstung seiner Armee zu sorgen, in den Wind, obwohl das durchaus möglich gewesen wäre?
• Wie bekämpft man Angst in einer Gefahrensituation?
• Welche Unterschiede gibt es im Volkscharakter von Deutschen, Franzosen, Engländern, Italienern und Russen? (So eine Frage ist natürlich eigentlich "politisch inkorrekt", aber Tolstois Antwort ist so, daß man zumindest sagt: "Na ja, da ist was dran!")
• Warum ist das Streben nach Macht unersättlich?
• Was kann man machen gegen Altersdepressionen?
• Wie steuert man eine Schlacht (oder sonst eine beliebige politische oder auch wirtschaftliche Auseinandersetzung)?
• Gewöhnen sich Soldaten an Angst? Stumpfen sie mit der Zeit ab in dieser Beziehung? (Nein, tun sie nicht! Sie finden aber andere Möglichkeiten, um das Gefühl des ohnmächtigen Ausgeliefertseins zu bewältigen.)
• Warum fahren Menschen fort, einen Führer zu verehren, der sie zu 100 tausenden umbringen läßt, durch dessen verfehlte Planung ihre Kameraden sterben, der sie den unangenehmsten und gefährlichsten Situationen aussetzt, in denen sie sich schließlich z.T. von ihren erfrorenen Kameraden ernähren müssen, und der sie dann auch noch einfach im Stich läßt?
• Warum küßt ein General inbrünstig eine Madonnenikone, ehrfürchtig und unter (echten) Tränen, obwohl er gar nicht gläubig ist?
• Wie kann man jemandem helfen, der durch den Verlust einer sehr geliebten Person jeden Lebenssinn verloren hat und extrem suicid¬gefährdet ist?
• Warum erheben sich die russischen Diener und leibeigenen Bauern nicht gegen ihre Herren als die Franzosen kommen und ihnen die Freiheit bringen wollen? Ziehen sie die Knechtschaft der Freiheit vor?
• Warum werden die Kanoniere einer russischen Batterie (Artillerie-einheit) während eines langen Kampftages immer fröhlicher (ganz ohne Alkohol!), obwohl von ursprünglich 100 Mann kaum noch 40 lebendig und unversehrt sind, von ursprünglich 10 Geschützen 6 zerstört sind und obwohl fast in jedem Moment anderen Kameraden (ihren Kumpanen und Freunden) die Beine von Granaten abgerissen und sie sonstwie verstümmelt oder getötet werden?
• Warum kommen italienische Truppen (der napoleonischen Armee) mit dem russischen Winter (auf dem Rückmarsch von Moskau) besser zurecht, als Deutsche und Holländer, die doch den nordischen Winter besser kennen sollten als Neapolitaner?
• Warum sind manchmal alte Leute keineswegs liebe Opas und Omas, sondern ziemlich bösartig?
• Warum hat Napoleon den Rußlandfeldzug so schlecht vorbereitet, obwohl er ja eigentlich 'den Krieg' aus fast 20jähriger Erfahrung sehr gut kennen sollte?
• Was bringt einen fünfzehnjährigen Jungen dazu, gemäß dem Liedvers "Ach ich lieb' die Mutter, auch den guten Vater, doch die bunten Mützen der Kosaken lieb' ich mehr!" zu handeln (und was sagt das wiederum über die Seelenlage jugendlicher Deutscher, die alles daran setzen, um in Syrien für dieses oder jenes zu kämpfen).
• Warum töten Soldaten im Kampf ihre Gegner ohne Zögern, haben aber, z.B. kommandiert in ein Exekutionskommando, außerordentliche Schwierigkeiten damit? (Die Antwort auf diese Frage ist interessant sowohl im Hinblick auf den Holocaust, als auch im Hinblick auf die Wirkung von 'Killerspielen'.)
• Wie kann es sein, daß ein einzelner, nur mit einem Säbel bewaffneter Mann sich gegen 40 mit Flinten bewaffnete, aufrührerische Bauern durchsetzt und sie dazu bringt, die Flinten wegzuwerfen und ihre ursprünglichen Dienste wieder aufzunehmen?
• Unter welchen Umständen bringen ansonsten gutmütige Menschen, ohne bedroht zu sein und ohne alle sonstigen Nöte, andere Menschen um, wenn diese ihnen lästig werden, ohne dabei auch nur die Spur eines schlechten Gewissens zu haben?
• Wenn es einen Konflikt zwischen Liebe und der Verpflichtung ge-genüber der eigenen Familie geht, wer siegt (unter welchen Um-ständen), Pflicht oder Liebe?
• Usw.
Wenn Sie die Antworten auf alle diese Fragen kennen, verstehen Sie sehr viel von Psychologie, von Psychotherapie, von der aktuellen Krimkrise, von Persönlichkeit, von Religion, von Gewalt und Grausamkeit, von Liebe und Haß. Es gibt kaum einen Bereich des Lebens, den Tolstoi in seinem Roman nicht berührt. Er schreibt keine "theoretische Psychologie" aber er stellt implizit eine ganze Menge von theoretischen Thesen auf. Weil bekanntlich der Roman ein großer Erfolg war und ist, könnte man sagen, daß die Validität dieser Thesen groß sein muß. Denn der Roman wäre kaum ein großer Erfolg, wenn die Menschen sich hier nicht wiedererkennen würden, wenn ihnen also das Geschehen nicht etwas "sagen" würde. Die Prüfung dieser impliziten Thesen von Tolstoi, ist das Ziel dieser Veranstaltung.

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